Category: ARCHIV RADTOUREN


Heute ist ein absolut radfreier Tag. Ich bin nur vom Hotel zum Schiffsanleger rund 150 m gerollt und habe auf der MS Nordkapp der Hurtigruten-Linie nordgehend eingecheckt, die mich in 19 Stunden quasi „oben rum“ nach Kirkenes bringt.

Ankunftszeit 9:00 morgens. In Kirkenes werde ich den Dienstag bleiben. Irgendwie klackt es in meinem Tretlager, das hoffe ich morgen vor Ort klären zu können.

Motivation und Stimmung nach der gestrigen Zielankunft sind hoch und so reift der Gedanke immer mehr von Kirkenes durch Finnland bis Helsinki zu fahren. Das sind „breiter Daumen“ runde zwei Wochen quasi zum Ausrollen.

Entscheiden werde ich das morgen in Kirkenes.

 

71 km / 1352 hm / 4:45 h – Gesamt 3589 km / 22219 hm / 222:48

Morgens gab es noch Regen in Honningsvåg, im Laufe des Tages klarte es auf und blauer Himmel zeigte sich. Gegen 15:00 Uhr hielt mich nichts mehr und ich machte mich auf den Weg mein Ziel zu erreichen.

Es war der optimale Tag. Nach einer Stunde anspruchsvoller Fahrt sah ich das Kap in der Ferne winken, allerdings ging es nochmal bis fast auf Meereshöhe hinab um schließlich im finalen Anstieg nach einer knappen weiteren Stunde und rund 35 km und ca. 700 Höhenmetern ganz oben in Europa anzukommen.

Als mich die freundliche Dame an der Zahlstation beglückwünschte und mir freie Zufahrt gewährte war ich tatsächlich mit meinem „Blauen Elefanten“ am nördlichsten Punkt Europas angekommen.

Die Emotionen suchten sich ihren Weg und ich heulte erstmal glücklich vor mich hin.

Ein strahlender Nachmittag mit fantastischem Licht, völlig windfrei und mit einer sehr übersichtlichen Anzahl an Touristen. Das hatte ich mir in meinen kühnsten Vorstellungen so erhofft und jetzt war es Realität.

Die Fotos am Globus sind ein Muss und klar, dass man als Radfahrer auch Fotoobjekt für den einen oder anderen Touristen ist.

Viktor kam ungefähr eine Stunde später und wir freuten uns über unsere Zufallskameradschaft seit Vilhelmina in Schweden. Bei einem Schnäpschen und einem Kaffee verabschiedeten wir uns. Er fährt morgen früh zeitig mit den Hurtigruten nach Süden, ich im Laufe des Nachmittags nach Norden.

Die gut zweistündige Rückfahrt genoss ich bei herrlicher Abendstimmung mit schnell abnehmenden Temperaturen, auch in dem Bewusstsein, dass ca. 50 Busse die mir entgegenkamen gut 2000 Leute zur Mitternachtssonne nach oben karrten.

Jetzt gegen 23:30 Uhr im Hotel bin ich dankbar und glücklich, dass ich diese Tour in den letzten fünf Wochen gesund und ohne Probleme erleben durfte und mir damit meinen Traum von der Durchquerung Europas in zwei Teilen von Gibraltar zum Nordkap, mit eigener Muskelkraft, erfüllt habe.

 

Nach entspanntem Frühstück eine Runde zu Fuß durch das Städtchen gedreht (sehr übersichtlich). Ohne die Nordkap-Kreuzfahrer und -Touristen wäre hier der berühmte Hund begraben.

Heute Nacht hat unmittelbar vor meinem Hotelfenster die Queen Mary 2 festgemacht, das ist schon ein ziemliches Gerät.

Die Wetteraussichten für den heutigen Abend sind eher bescheiden, mal sehen was uns oben erwartet. Viktor und ich sind jetzt über 1000 km parallel gefahren und haben beschlossen gemeinsam hinauf zu Radeln.

In der Reihe „Crazy Bicyclists“ habe ich am Hurtigruten-Anleger einen Amerikaner aus Colorado getroffen, der über Irland, Schottland und Norwegen hier angekommen ist und weiter nach Island fährt. Hat mir richtig ein schlechtes Gewissen gemacht, der Typ, da er mir versichert hat, er hätte in 75 Tagen nur viermal für die Übernachtung bezahlt. Und ich kam gerade aus dem warmen Hotelbett !!

 

101 km / 642 hm / 7:43 h – Gesamt 3518 km / 20867 hm / 218:03 h

Die letzte Etappe vor dem „Gipfelsieg“ am Sonntag hatte es nochmal richtig in sich und zwar in mehrerer Hinsicht.

Zum einen ging das Thermometer den ganzen Tag nicht über 7 Grad und in dem eiskalten Wind war mein Gefühl immer rund um den Gefrierpunkt angesiedelt. Zum anderen gab es auf der ganzen Strecke keine Einkehrmöglichkeit, also ein Tag ohne helfendes Koffein unterwegs und das mit kräftigen Anstiegen.

Entschädigt für „diese Leiden“ wurde ich allerdings durch eine grandiose Natur. Im Prinzip tat sich hinter jeder Kurve ein neues Naturschauspiel auf. Einfach unbeschreiblich und auch mit Bildern nicht wirklich wiedergebbar.

Zum Üben ging es nach 20 km schon mal durch einen rund 3 km langen Tunnel, bevor sich mir bei km 75 der „berühmt – berüchtigte“ Nordkaptunnel hinüber auf die Insel Magerøya mit knapp sieben Kilometer in den Weg stellte. Es geht ungefähr 3 km hinab bis aus 212 m unter dem Meer und dann entsprechend wieder hinauf, mit ca. 8 % Neigung in beide Richtungen.

Im Internet gibt es wahre Schauergeschichten von Radfahrern zu lesen. Meine Wahrheit ist, der Tunnel ist gut zu befahren, mit genügend Platz, sogar schmalen Fußwegen rechts und links, ausreichender Beleuchtung und exzellenter Markierung. Du weißt immer genau, wo du aktuell bist.

Beim Hineinfahren gruselt es einen natürlich bei dem Gedanken tief unter das Meer zu fahren. Entsprechend kalt ist die Abfahrt, die Kompensation erfolgt bei der Auffahrt, da kommst du automatisch ins Schwitzen. Abenteuerlich empfand ich nur die Geräusche, manchmal denkst du da kommt jetzt mindestens ein 40 Tonner, aber es ist nur ein kleiner PKW. Wer bis hierher mit dem Rad gefahren ist, der kommt auch mit der Steigung klar, es dauert halt einfach seine Zeit, bis du wieder im Tageslicht bist.

Viktor hatte ich schon beim Start am Morgen verloren, so dass aus unserer geplanten Gemeinsamkeit nichts wurde. Was auch keinen Vorteil geboten hätte.

Kurz vor Honnigsvåg kommt nochmal ein rund 4 km langer Tunnel durch einen Berg, der nach Bewältigung des Nordkaptunnels locker durchfahren wird.

So kurz vor der gewünschten Zielerreichung quartiere ich mich im zentralen Hotel für zwei Nächte ein. Die vielen Bus- und Schiffstouristen aus vielen Ländern blende ich einfach aus. Mein Wunsch nach einer gepflegten warmen Dusche und einem ebensolchen Bett war übermächtig.

Morgen werde ich gegen 18 Uhr hinauf zum Nordkap fahren, es sind geschätzte 600 – 700 Höhenmeter auf den restlichen 30 km. Die Zeltidee habe ich begraben, es ist nicht das Wetter danach und auf Survival habe ich als „älterer Herr“ keine Lust. Wenn auch das noch klappt kann ich wirklich sagen: „A dream comes true“

Für Montagnachmittag habe ich mich auf den Hurtigruten für eine 19 stündige Fahrt nach Kirkenes eingebucht. Mitternachtssonne vom Schiff aus genießen ist dabei mein Gedanke und Klarheit über die Heimreise finden.

 

119 km / 1169 hm / 8:05 h – Gesamt 3417 km / 20225 hm / 210:20 h

Später Start in den Tag. Vor zehn hat hier kaum ein Laden auf. Ich wollte in Alta im Fahrradgeschäft einige Dinge checken, vor allem klären, ob die Jungs falls ich von Alta aus nach Frankfurt fliegen möchte, mein Fahrrad sachgerecht verpacken können. Das würde klappen, der junge Mann, ambitionierter Skilangläufer und Radfahrer, war total begeistert von meiner Tour und würde das übernehmen. Ist erstmal eine Option.

Heute war mächtig Bergfahren angesagt, Alta liegt auf Meereshöhe und Olderfjord ebenfalls. Dazwischen liegt eine fantastische, fast schon archaische Landschaft auf einem Hochplateau um die 400 Meter und eine ganze Menge auf und ab.

An einem der Peaks habe ich ein nettes norwegisches Ehepaar getroffen, die vom Nordkap in Richtung Südnorwegen fahren.

Kurz vorher hatte ich auch Viktor eingeholt. Unsere Rythmen sind ähnlich, so dass wir beschlossen haben, morgen gemeinsam durch den Tunnel zu fahren. Zwei Fahrräder fordern doch etwas Abstand von den nachfolgenden Autos, denken wir zumindest.

Die letzten zwei Stunden gab es leider Regen, aber dafür hatten wir Glück, dass wir auf der Hochebene bestes Wetter, ohne Wind und Regen, hatten. Das könnte ziemlich grausam da oben sein, da gibt es nichtmal einen Strauch, hinter dem man sich verstecken könnte.

Am Ende des Abfahrt in Olderfjord stand dieses Schild, was eindeutig zeigt, dass ich wirklich kurz vor dem Ziel bin.

Morgen bis Hönnigsvag und Sonntag hinauf zum Kap, das sind zwar nur noch 30 km, aber die sind außerordentlich anspruchsvoll. Mal sehen, ob ich mit vollem Equipment hochfahre, um ggf. eine Nacht oben zu zelten. In Sturm und Regen werde ich das sicher nicht machen.