Category: 2014 PATAGONIEN


Etappe 95 Estancia La Seberia – Tres Lagos
95 km – 590 hm / Gesamt: 1257 km


Ein Radtag mit wenig Auffälligkeiten. Du fährst durch eine Landschaft die unendlich weite Blicke bietet. Deine Konzentration gilt jedoch der Straße vor dir, die alle Aufmerksamkeit erfordert. Sobald die Konzentration nachlässt ist die Gefahr eines Sturzes auf diesen Naturpisten enorm groß.

Die andere Komponente ist der Wind, der immer von Westen her weht. Je nach Fahrtrichtung geht es dir gut oder du leidest mächtig.

Nach rund 55 km erreichen wir das herbeigesehnte „Pavimento“ und überwiegend bergab sausen wir nach Tres Lagos.

Meine Phantasie bei Tres Lagos sind Seeufer und ansprechende Umgebung. Leider wurde dieser Traum nicht erfüllt, Tres Lagos ist ein Kaff, indem nichtmal der berühmte Hund begraben sein möchte.

Der Zeltplatz ist okay, die Dusche lauwarm, was willst du mehr.

Gemeinsames Abendessen, wie jeden Tag, sehr gut und ein bisschen zusammensitzen und dann in den kuscheligen Schlafsack, es ist halt immer windig und auch kalt hier unten kurz vor dem Ende der Welt.

Alle sehnen den Ruhetag am Montag in El Calafate herbei. Der Höhepunkt wird dabei der Besuch des gigantischen Gletschers sein.

Meine persönliche Entscheidung ist mittlerweile klar, ich werde mit der Gruppe bis nach Ushuaia fahren. Eine ganze Reihe von Leuten sind mir ans Herz gewachsen und ich fühle mich in der Gruppe auch sehr wohl.

Rein körperlich geht es mir gut, es ist immer hart auf dem Rad, aber im letzten Drittel fahre ich gut mit.

 

 

Etappe 94 Villa Angostura – Estancia La Seberia
67 km – 600 hm / Gesamt: 1163 km

Gestern war ein super entspannter Nachmittag bei bestem Wetter, kaum Wind und vielen guten Gesprächen.

Irgendwie gab es am Abend eine Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppenmitgliedern und Rob – der OrgA-Chef – musste schlichtend eingreifen. Drei Wochen vor Ende der Tour fahren etliche emotional „auf der letzten Rille“.

Die Nacht war prima und um 9 Uhr sind wir auf eine übersichtliche Etappe von 67 km gestartet. Die nicht asphaltierte Piste und ein phasenweise mächtiger „Headwind“ waren allerdings anstrengend genug.

Etwa bei km 50 tauchte ein tiefblauer See, der Lago Cardiel, in der Landschaft auf, unser Kurs schwenkte nach Osten und der Wind wechselte von „Head“ zu „Tail“.

Gegen 14:30 Uhr bin ich auf der Estancia La Seberia angekommen, Nomen ist gottseidank nicht ganz Omen, aber schon sehr rustikal hier.

Tagesroutine: Campingsachen am Truck holen – Platz fürs Zelt suchen – Zeltaufbau – Organisation der Ausrüstung – wenn geht Duschen (ging – sogar warm) – evtl. bisschen Wäsche (falls Sonne) – Fahrradcheck – Suppe.

Kurze Zeit später kam ein deutscher Tourenfahrer an, der seit 1 1/2 Jahren unterwegs und auf dem Wege nach Santiago de Chile ist. Interessanter Typ irgendwo aus dem Raum Dessau. Unser Teamchef hat ihn für heute ins Team eingeladen. Ich habe ihm ein Bier ausgegeben und wir haben eine Stunde gequatscht.

Meine persönliche Befindlichkeit ist sehr gut. Die Gedanken an den Switch in Calafate habe ich komplett auf Eis gelegt. So geht es eben von Tag zu Tag, wie auf der Strasse so auch im Kopf immer Auf und Ab.

 

Etappe 93 Bajo Caracoles – Estancia Villa Angostura
84 km – 100 hm / Gesamt: 1096 km

Mit Wolfgang Ambros im Ohr bin ich gestern Abend eingeschlafen: „Der Weg zu dir selber hört nie auf, hinter dir gehts abwärts vor dir steil bergauf“.

Ist irgendwie ein gutes Motto für das was gerade so bei mir passiert. Heute steht ein 50 km Team-Timing an, wenn der Wind nicht dreht werden wir kräftigen Schiebewind haben, bevor dann nochmal ca. 35 km auf unpaved roads anstehen, diese dann allerdings wieder in Richtung Westen und daher kommt der Wind.

Ich werde das Timing als Team mit J.R. fahren, er ist ein immer fröhlicher Typ aus Anchorage, der seit Cusco mitfährt. Wir sind ziemlich gleich in unserem Leistungsspektrum.

War cool heute Morgen, als ich im Busch war, ging gerade die Sonne auf. Das ist nicht beschreibbar, diese Weite und der Wind !

Um 8:00 ging es zum Zeitfahren. J.R. und ich haben uns prächtig verstanden und sind mit 36 km/h in einen unendlichen Horizont gefahren. Die Schnellsten waren – natürlich windunterstützt – mit mehr als 50 km/h unterwegs.

Gegen 12 Uhr haben wir in einem windgeschützten Tal die Estancia und damit unseren Campingplatz erreicht. Ein herrlicher Frühlingsnachmittag liegt vor uns, die Kälte und der Dreck der letzten Tage sind vergessen.

Frisch geduscht sind alle Fahrer gutgelaunt und sitzen mit einer Büchse Quilmes in der Hand entspannt zusammen.

In dieser Stimmung sind meine Ausstiegsgedanken für Sonntag natürlich weggeblasen. Mal sehen, wie mein „work in progress“ die kommenden Tage aussehen wird.

 

Etappe 92 – Bajo Caracoles – Las Horquetas / Im Truck
Gesamt: 1012 km

Ich habe mich eben entschieden (6:00 Uhr) heute nicht Rad zu fahren. Hatte nachts beim Gang „vor die Tür“ mächtig Schüttelfrost. Das klare Signal für mich, gestern war ich am Limit.

Mit dem Truck heute rund 100 km weitergefahren durch eine helle und sonnengeflutete Landschaft. Nicht ein Haus war auf der ganzen Strecke bis hierher und rund 2/3 der Strecke waren gegen den Sturm zu fahren. Im Truck waren wir von Beginn an sieben, kurz nach dem Start kam Kristin wieder zurück und ist auch auf den Truck gestiegen.

Der Übernachtungsplatz hier ist etwa 10% freundlicher als gestern, aber ebenfalls ohne sanitäre Möglichkeiten bzw. die vorhandenen Baños haben kein Wasser.

Für mich wird immer klarer, dass ich diese Tour unter diesen Bedingungen nicht wirklich will, das Radfahren ist bedingt durch Strecken und Wetter überhaupt kein Spaß. Für fast alle geht es nur darum sich von Tag zu Tag durchzukämpfen.

Die Gruppe hat auch ihre Spannungen, was logisch ist nach so vielen Tagen und Wochen. Der Gedanke überwiegend mit dem Truck durch Patagonien zu fahren ist keine wirkliche Option.

In meinem Kopf bildet sich die Vorstellung in Calafate am Sonntag aus der Gruppe auszusteigen, immer fester heraus. Es gäbe dann zwei Möglichkeiten, die eine wäre mit einem Mietwagen weiterzufahren bis Ushuaia und die gebuchten Rückflüge Mitte Dezember zu nutzen.

Die andere Möglichkeit ist zeitnah von Calafate nach Buenos Aires zu fliegen, dort ein paar Tage zu bleiben und einen neuen Rückflugtermin nach Frankfurt zu finden.

Diese Gedanken sind jetzt quasi „work in progress“, ich bin gespannt, wie es sich tatsächlich entwickeln wird ?

Das Abendessen war wieder exzellent, habe mich danach lange mit Alfred bei einem Bier über alles Mögliche unterhalten. Wir haben beide eine sehr angenehme Beziehung entwickelt. Er ist ein pensionierter Lehrer aus der Nähe von Ravensburg, ein Modellathlet und der wohl beste Fahrer im Feld, der auf Gesamtsieg fährt, den ich ihm auch sehr gönne.

 

Etappe 91 – Perito Moreno – Bajo Caracoles / Lunchtruck
82 km – 900 hm / Gesamt: 1012 km

Ein strahlender Morgen erwartete uns heute und mit gutem Wind ging es aus Perito Moreno hinaus gen Süden. Nach rund 50 km war der Spaß vorbei und der gefürchtete patagonische Wind blies uns brutal ins Gesicht oder in die Seite.

Für die 32 km bis zum Lunchtruck habe ich rund 3 h gebraucht, dreimal bin ich von der Straße geweht worden. Die Geschwindigkeit fiel manchmal ab bis auf 6 km/h. Das macht nun wirklich keinen Spaß mehr und war nur noch Kampf.

Entsprechend voll wurde es dann auch im Truck, 10 Leute haben die Etappe abgebrochen und sind wie ich, eingestiegen.

Tageshöhepunkt war ein Gürteltier das mich eine Weile beäugt hat, normalerweise siehst du sie nur platt, wie bei uns die Igel auf der Straße.

Unsere heutige Campingsite ist grauenvoll, betonharter Boden und nur Müll und das wirklich „am A… der Welt. Toiletten oder Duschen – Fehlanzeige

Soeben geht die Sirene fürs Abendessen ! Witzigerweise sind es die Gemeinschaftsaktivitäten, welche die Stimmung verbessern. Beim gemeinsamen Abtrocknen o.ä. entstehen positive Gefühle.

Einige Male habe ich mir heute unterwegs die Sinnfrage gestellt, ob ich mir das tatsächlich antun muss. Ganz nebenbei habe ich heute meinen ersten Tausender voll gefahren.

El Calafate ist noch ungefähr 400 km entfernt. Dort werden wir am Sonntag ankommen. Bis dahin werde ich mich entscheiden, ob ich bis Ushuaia mit Bike-Dreams radfahre oder ggf. mit einem Mietwagen das Ende der Welt bereise.

Ich habe noch nie so helles klares Licht wie hier, in der Natur gesehen. Es ist jetzt 21:00 Uhr und wir haben mächtigen Wind und eine sonnendurchflutete Landschaft.

Habe eben noch mit den beiden Belgiern in der Bar der Tankstelle ein Bier getrunken und jetzt ist Zeit zum Schlafen.