Category: 2012 BALTIKUM


Das Quartier war wirklich prima. Die Chefin hat mir ein mächtiges Frühstück serviert, wenn ich das alles gegessen hätte, wäre ich nicht aufs Rad gekommen.

Die Insel ist landschaftlich sehr beeindruckend, trotzdem kam mir heute immer wieder der Song „The Long and winding road“ in den Sinn, obwohl es dann doch mehr geradeaus ging.

Ich bin jetzt gegen Mittag ganz hinaus auf eine Halbinsel namens Kõpu geradelt und bin auf einen der wohl ältesten Leuchttürme im ganzen Baltikum gestiegen. Das Panorama ist nicht zu fotografieren.

Jetzt liegen ungefähr 50 km vor mir bis zur Fähre nach Saarema.

Wetter gemischt, Stimmung und Energie sehr gut.

 

Als ich von der Mittagsrast losfuhr wurde es ziemlich dunkel über Haapsalu und ich hatte noch ungefähr 10 km bis zum Fährhafen Rohuküla (klingt wie Rucola). Wie immer wenn man beim Radfahren gegen seine eigenen Grundsätze verstößt wird man dafür bestraft.

Ich dachte das schaffe ich noch bis zur Fähre, aber es ging dann so plötzlich und heftig los, dass ich auf 1,5 km Distanz völlig durchnässt wurde. Es gab auch keine Unterstellmöglichkeit.

Als ich an den Fährschalter fuhr sagte mir die Lady, die nächste Fähre geht in knapp drei Stunden um 17 Uhr. Prima, da hatte ich alle Zeit der Welt zum Umziehen.

Gegen 18:30 Uhr war ich dann auf der Insel bei wieder strahlendem Sonnenschein und so fuhr ich fröhlich und sogar ein Stück mit Wind von hinten in die Inselhauptstadt Kärdla (4 Tsd. Ew).

Ich war auf Zelten programmiert konnte aber der Verlockung dieses netten B&B nicht widerstehen.

Morgen bin ich schlauer, da checke ich erstmal den Fährplan von Hiiumaa nach Sareema.

 

Ja und es blieb trocken. Ich habe in einem riesigen Kiefernwald mit dem Meeresrauschen im Ohr tief und fest geschlafen. Ich gebe zu, das klingt kitschig ist aber die Wahrheit.

Beim Losfahren ist mir dann so durch den Kopf gegangen, jetzt ist der Juli schon rum !, allerdings liegt noch der ganze August vor mir – coole Perspektive.

Mittlerweile habe ich mich fit gefahren, die Sitzposition habe ich auch gefunden. Der Gegner ist dann entweder der Wind oder der Belag oder beides zusammen, manchmal auch der „Innere Schweinehund“. Wie ich den in den Griff kriege, habe ich in über 30 Jahren Ausdauersport ganz gut gelernt.

Nachdem ich nicht weiß was mich auf der Insel Hiiumaa heute Nachmittag erwartet habe ich in diesem Lädchen ausreichend Verpflegung aufgenommen.

Hier in Haapsalu im Restaurant des Promenade-Hotels bin ich wieder mal der einzige Gast. Eine warme Mahlzeit sollte es heute schon sein, nachdem Ausfall gestern. Der Fisch und das Bier waren genau das richtige heute Mittag.

 

Heute morgen habe ich Tallinn zeitig bei gutem Wetter verlassen. Der Weg hinaus aus dieser doch größeren Stadt verlief problemlos. Gegen 10 Uhr trübte es sich ein und der Wind wurde stürmisch aus Westen. Genau da wo ich hinwollte.

Ich bin die ganze Nordwestküste abgeradelt und gerade als ich die äußerste Nordwestecke erreichte, hat es mich total eingesaut. Da steht eine schöne Vogelkundlerhütte, die auch offen war, da habe ich es mir eine Weile gemütlich gemacht und den gröbsten Regen abgewartet.

Zu Übernachten habe ich mich dort dann doch nicht getraut und bin 20 km weiter südlich in einer großen Freizeitanlage direkt am Meer gelandet.

Eben habe ich mein Zelt aufgebaut, den Reisedreck abgespült und jetzt genehmige ich mir ein Feierabendbier am Strand. Den Sonnenuntergang gab es dann gratis dazu.

Hoffentlich bleibt es trocken heute Nacht.

 

Der heutige Ruhetag bietet sich an, mal so einige Wahrnehmungen aus Sicht eines fahrradfahrenden Ausländers aufzuschreiben:

  • Zu allererst das Märchen von den „Schönsten Frauen Europas. Also es gibt sicher viele attraktive Frauen hier, aber die sind auch nicht schöner als bei uns oder in anderen Ländern Europas.
  • Die Esten sind wohl das „internet-affinste Volk“ in Europa. Es gibt kaum einen Platz oder Ort an dem nicht freier Internetzugang möglich ist. Entsprechend hoch ist auch die Nutzung und die Durchdringung mit Smartphones.
  • Die Esten sind manchmal etwas ungestüme Autofahrer, aber sehr fair zu dem „armen Radfahrer“. Ich wurde noch nicht einmal angehupt.
  • Es gibt gefühlt insgesamt weniger Verbote in der Öffentlichkeit. Manchmal erwarte ich – typisch Deutsch – dass jemand kommt und mir sagt, das Fahrrad können sie da aber nicht hinstellen. Ist auch noch nicht passiert.
  • Was die Freundlichkeit der Menschen angeht, zumindest in den Teilen des Landes, wo ich bisher gefahren bin, war es nicht so weit her. Ich grüße prinzipiell vom Fahrrad alle Leute oder winke den Leuten auf den Feldern zu, da kam bisher wenig Resonanz.
  • Die Einkaufsmöglichkeiten, speziell im flachen Land, sind sehr rustikal und entsprechen unseren Läden aus den 50er und 60er Jahren. Meist steht dann auch tatsächlich „Tante Emma“ hinterm Tresen.
  • Die junge Generation spricht sehr gut und gerne Englisch. Hie und da habe ich schon junge Leute getroffen, die sich auch mit der deutschen Sprache beschäftigen.
  • Estland ist exzellent bereisbar gerade auch mit dem Fahrrad.